Die Geschichte der Bergungs-Gilde in Tversted

Vor mehreren hundert Jahren wurde zwischen Vendsyssel und Norwegen „skudehandel“ (Schiffshandel mit kleinen flachen Schiffen) betrieben. Dieser Handel reichte bis ins Steinzeitalter zurück. Im Süden von Norwegen hat man Werkzeuge aus dänischem Feuerstein gefunden, die Aufschluss geben über einen regen Tauschhandel zwischen den beiden Ländern.

 

Zu diesem Zeitpunkt waren die Möglichkeiten, sich selbst zu versorgen, in Norwegen begrenzt. Deshalb waren es auch die Norweger, die den Schiffshandel anregten. Die Einwohner von Vendsyssel, die sogenannten „Vendelboer“, frachteten Agrarprodukte nach Sörland und brachten im Gegenzug Holz mit zurück, das in Vendsyssel Mangelware war. Auch Eisen und Teer gehörten zu den begehrten Tauschwaren. Entlang der Westküste in Vendsyssel gab es jedoch keinen Hafen, an dem man hätte entladen können. Außerdem war es für die Schifffahrt schon immer gefährlich an der dänischen Westküste. Da die großen Schiffe nicht ganz ans Land heranfahren konnten, kam man auf die Idee, Flachboote auszusetzen. Man benutzte sie, um zu den Schiffen herauszurudern, dann die Waren aufzuladen und diese an Land zu befördern. Man sagt, dass nur 20 cm Wasser unter dem Kiel benötigt werden, um das Boot schwimm-fähig zu machen. Das ist auch die Erklärung dafür, dass die Flachboote später für die Bergung von Waren gestrandeter Schiffe benutzt wurden. Es wird außerdem berichtet, dass die Flachboote bei Strandungen besonders schnell auf See waren, um zu bergen - nicht selten aber auch zum eigenen Vorteil.

 

In früheren Zeiten wurde das Flachboot auch für die Fischerei mit Strandwaden und Zugnetzen verwendet. Vom Boot aus wurde eine Wade/Reuse bis zum Strand gesetzt.

 

Dort standen Jungs und Männer, um die Reuse reinzuschleppen. Es war eine harte und mühsame Arbeit, die langen Taue an Land zu ziehen. Die Fänge bei Uggerby und Tversted Strand waren besonders ertragreich.

 

Die Geschichte der Tversted Bergungs-Gilde geht bis ins Jahr 1887 zurück, als die erste Bergungs-Gilde gegründet wurde. Das Boot, das heute noch in Gebrauch ist, wurde im Jahr 1911 vom Schiffsbauer Ovesen für ca. 400,00 Kronen gebaut. Heute heißt das Unternehmen „Karstens Schiffswerft“. Das Boot wurde in diesen Jahren zunächst für den ursprünglichen Zweck genutzt, nämlich zum Bergen und Laden in Verbindung mit dem Schiffshandel an der Küste, aber auch zum Bergen von Waren bei gestrandeten Schiffen.

 

Die damalige Bergungs-Gilde löste sich im Jahr 1964 auf. Das Boot wurde der Tversted Bürger- und Touristenvereinigung kostenlos übereignet. Diese verkauft daraufhin das Boot an das Hotel Tannishus für einen gestiegenen Preis von 500 Kronen. Einige Jahre wurde das Boot zum Spielen auf dem Spielplatz eingesetzt. Doch erkannte man auch den historischen Wert des Bootes und wollte es nun bewahren. Somit wurde es ohne Berechnung im Jahr 1973 der Tversted Bürger- und Touristenvereinigung wieder übertragen. In Zusammenarbeit mit dem Bangsbostrand Museum wurde dafür gesorgt, dass das Boot nicht weiter verfiel. 1977 kam es in die Schiffswerft Mortensen nach Frederikshavn, umfachgerecht restauriert zu werden.

 

Allerdings war diese Maßnahme nicht umfassend genug, um das Boot wieder seetauglich zu machen. Danach stand es zwei Jahre beim Bauern Bang Mikkelsen in Bangsager. 1979 kam es zu einem Treffen zwischen der Tornby Bergungs-Gilde und der Bürger- und Touristenvereinigung aus Tversted. Dort wurde der Beschluss gefasst, dass die Tornby Bergungs-Gilde das Boot wieder fit und seetauglich macht.

 

Das Flachboot ist 8,5 m lang, 3 m breit und wiegt 1,5 Tonnen. Es gibt 10 Riemen und eine Besetzung von 20 „Wikingern“, einem Steuermann und einem „Schöpfer“. Juli 1979 war das Boot endlich startklar und nahm am ersten Wettsegeln in Tornby teil. Viele Jahre folgten nun, in denen ein jährliches Wettsegeln zwischen Tornby, Skallerup, Tversted und später auch Uggerby stattfand. Tversted hatte nun wieder ein seetaugliches Boot und damit einen Anlass, vor Ort eine eigene Bergungs-Gilde zu gründen.

 

Am 18. September 1979 wurde auf einer Generalversammlung die Tversted Bergungs-Gilde mit dem Vorhaben gegründet, das alte Flachboot als bemanntes, seetaugliches Fahrzeug zu bewahren. Es sollten Wettbewerbe mit noch anderen existierenden Bergungs-Gilden stattfinden, um damit das Interesse für das Flachboot unter Mannschaft, Bürgern und Touristen zu steigern. Weil es zwischen der alten Bergungs-Gilde und dem Svitzer Bergungsenterprise aus Aalborg – so hieß es damals, als es 1833 gegründet wurde – noch einen alten Vertrag gab, nahm Svitzer Kontakt zur neuen Bergungs-Gilde auf und forderte diese weiterhin zur jährlichen Zahlung von 100 Kronen. 1985 baute die Bergungs-Gilde schließlich ihr eigenes Bootshaus, an der Zuwegung zum Tversted Strand. Die Gilde verfügt über einen eigenen Traktor, der als Veteran betrachtet werden muß, sowie über einen eigenen Bootstrailer.

 

Es wird über das Boot gesagt, dass es wie eine Dame sei, die der Schönheit wegen ihr Gesicht  regelmäßig hat liften lassen! Wie bereits erwähnt, war das Boot im Jahr 1911 400 Kronen wert. Im Jahr 2002 kostete das Auswechseln für 2 neue Planken allein schon 4.000 Kronen. 2009 wurden nochmals mehrere Planken erneuert, in der Mitte und im oberen Bereich des Bootes. Im Jahr 2010 investierte man in 10 neue Riemen, und 2011 war dann die ganz große Ausgabe für Traktor und Trailer. Es kostet eben viel Geld, Boot, Traktor, Trailer und Haus zu unterhalten. Die Bergungs-Gilde hat von verschiedenen Fonds/Stiftungen Sponsorengelder erhalten, um das Boot seetauglich zu erhalten.

 

Das Flachboot spielt mittlerweile eine zentrale Rolle bei der Planung vieler Aktivitäten in Tversted. Dazu gehört traditionsgemäß das jährliche Hissen der Flagge am 5. Juni, dem dänischen Verfassungstag. Diese Veranstaltung wird zusammen mit der Tversted Bürger- und Touristenvereinigung gefeiert. Dann wird an diesem Tag sowohl zur Feier der Verfassung als auch zur Verleihung der „Blauen Flagge“ (Blå Flag) gehisst. Danach treffen sich regelmäßig aktive und passive Mitglieder sowie Touristen jeden Sonntag um 10 Uhr im Bootshaus, um gemeinsam – gegen eine kleine Aufwandsentschädigung -Kaffee zu trinken, Brote zu essen und etwas „für den Hals“ zu bekommen.

 

Um 11 Uhr wird das Boot zu Wasser gelassen. Es wird ganz weit raus bis in die Taxfree-Zone gerudert. Auf der ersten Tour wird nach einem festen Ritual für die Saison der Steuermann gewählt. Sobald das Boot auf dem offenen Meer ist, gibt der „alte“ Steuermann das Kommando, alle Ruderriemen loszulassen. Das Boot treibt eine Weile, angetrieben und gesteuert von Wind und Wetter. Danach wählt die Mannschaft einen neuen Steuermann, der dann für die gesamte Saison das Kommando übernimmt. Wir haben viel Spaß auf unseren Touren und genießen sie sehr. Der Gemeinschaftsgedanke und lautes Gelächter sind mit an Bord! Und wenn der Steuermann dann noch von uns verlangt, gefälligst im Takt zu rudern und nicht wie ein durchgedrehter Schneebesen zu rühren, dann gehört das halt dazu!! Und wenn einige von uns dabei einen nassen Hintern von den Schaumspritzernbekommen, ist das auch nicht so schlimm!

 

Jeden Mittwoch um 19 Uhr treffen wir uns wieder, denn das Flachboot braucht Wasser unter dem Kiel. Wir genießen den schönen Abend von der Seeseite und vielleicht sogar einen schönen Sonnenuntergang. Natürlich alles abhängig von der Wetterlage. Die 10 Riemen fordern 20 Ruderer. Da das Boot groß und schwer zu rudern ist, müssen beim stärkeren Wind „alle Mann“ an Bord sein. Jeder trägt eine Rettungsweste und muß mindestens 16 Jahre alt sein. Sollte es kein Ruderwetter geben, fahren wir gern eine Tour am Strand entlang, um von hier aus das wilde Meer zu bestaunen. Es ist im grossen Interesse des Vorstandes, die Aktivitäten der Bergungs-Gilde so attraktiv wie möglich zu machen. Zum Beispiel war das Flachboot ein paar Male auf „Langfahrt“. Es wurde bis nach Rønnehavnen in Frederikshavn verfrachtet, dort zu Wasser gelassen und von hier aus bis nach Hirsholmene gerudert – eine Tour, die über 1 Stunde und 30 Minuten dauerte und die natürlich viel von ihren Ruderern verlangt. Kein Wunder, dass man da drüben grosse Augen bei der Einfahrt des Bootes gemacht hat.

 

Der „Sankt-Hans“-Abend wird ebenfalls in Zusammenarbeit mit der Tversted Bürger Vereinigung gefeiert. Dann ist das Bootshaus geöffnet, in dem man Würstchen, Waffeln, Kaffee, Bier und Schnaps kaufen kann. Das Flachboot gehört mit zum großen Umzug durch die Ortschaft, voll besetzt mit fröhlichen Kindern, die Fackeln tragen. Die Tversted Bergungs-Gilde nimmt auch am „Tversted Markt“ teil, wo viele Mitglieder als freiwillige Helfer mitarbeiten. Ein Teil des Überschusses geht somit auch an die Gilde. Es wird auch eine Sommerfahrt mit Boot und Traktor veranstaltet. Hierfür bringt man Picknickkorb und einen kleinen Schnaps mit. Anschließend wird gemeinsam gegrillt. Getränke können im Bootshaus gekauft werden. Mit einer festlichen Abschlussfeier wird die Rudersaison beendet. Zu Weihnachten nimmt das Flachboot am großen Umzug teil – dann voll besetzt mit fröhlichen Weihnachtskindern (julenissebørn).

 

Es wird viel getan, um die Tversted Bergungs-Gilde so bekannt wie möglich zu machen. Die Gilde möchte „Gesicht“ zeigen. Es gibt T-Shirts und Schirmmützen zu kaufen, auf denen das smarte Logo prangt. Alle sind im Bootshaus herzlich willkommen, entweder um mitzurudern oder einfach um gemütlich beisammen zu sein. Man kann für ein Jahr Mitglied der Gilde werden. Jedes Mitglied erhält das Programm für die kommende Saison.

 

Übersetzung von: Vibeke Folden Rehder  und  Majken Folden Rehder